Über die Kraft der Melancholie
Nach jeder Krise und das kann Trennung, Tod, traumatische Erlebnisse, schmerzliche Erfahrungen, Umweltveränderungen, schwere Schicksale, Verlust sein...

…kommt nach einer gewissen Zeit die Phase der Melancholie. Traurig sein, im Wald allein spazieren gehen, ganz allein für sich sein, sich zurückziehen, nach Innen kehren, sich schwermütig fühlen, wenig Interesse für die Aussenwelt verspüren, Schmerz verspüren, nachdenklich sein, über das Leben sinnieren, Selbstzweifel, geringe eigene Wertschätzung.
Es kann auch sein, dass trotz aller gefühlten Wohlseinsbedingungen ein Mensch in eine Phase der Melancholie gerät, ohne, dass es eine offensichtliche Erklärung dafür gibt. Heutzutage ist dieser Begriff weitestgehend durch ‚Depression‘ ersetzt und bekommt dadurch direkt den Stempel, dass die Gefühlszustände und Selbstbetrachtungen krankhaft seien und (weg)therapiert werden müssen. Sie sollen weg, durch Medikamente oder Verfahren die alles daran setzen, dass der Zustand beendet wird.
Aus meiner Sicht, meinem eigenen Heilungsweg und all den Erfahrungen mit den Menschen die ich begleite, wird durch die Haltung, dass diese Phase weg müsse, ein schwerer Fehler begangen.
Warum?
I. Alles darf sein
Jeder Versuch etwas weg haben zu wollen, etwas beiseite zu schaffen, etwas zu heilen, mit dem geheimen Wunsch, dass es weg geht, wird früher oder später wieder an der eigenen Seelentür anklopfen: Ein neues körperliches Symptom, die Beziehung, die wieder den Bach runtergeht, sich zuspitzende Konflikte auf der Arbeit, mehr Distanz zur Herkunftsfamilie und und und. Das, was nicht sein darf, wird sich immer wieder bemerkbar machen, koste es was es wolle.
Sogar Generationenübergreifend werden Geheimnisse im Familiensysteme, verdrängte Gefühle und alles ungelöste im Herzen weitergegeben. Denk hier gern an die lange Zeit der Hexenverbrennung, der Instanz der Kirche, die altes Naturwissen verbrannte und zu Nichte machte, um die eigene Machtsposition halte zu können. Diese dunklen Taten, ziehen sich noch heute durch den Organismus eines ganzen Systems: Heiler, Seher, Druiden, Schamanen, Hexen, Spirituelle… die Spinner der Gesellschaft?!
Wenn ein Gemütszustand geheilt werden soll, dann beginnt der aller erste Schritt immer damit, dass ein Mensch sich voll für den jetzigen Zustand entscheidet und ihn zu 100% annimmt und lebt. Das heisst die Melancholie und die Depression voll akzeptiert und sich hineinfallen lässt. Eine Begleitung durch einen Therapeuten, der dies positiv unterstütz und die dadurch resultierenden dunklen Geheimnisse ans Licht zu bringen weiß, kann in diesem Prozess absolute Wunder wirken. Ein Coach, der sich vor den eigenen Abgründen fürchtet, die eigenen Geister und Dämonen niemals kennengelernt hat, ihnen niemals begegnet ist, all die schwierigen Gefühle niemals selber durchlebt hat, wird permanent in die Re-Traumatisierung verfallen und dir unbewusst vermitteln: So wie du jetzt bist, darfst du nicht sein. So wie du jetzt bist, bist du nicht richtig.
In meiner eigene Melancholie und Depression verbarg sich unglaubliche Weisheit, Liebe und Kraft. Nach vielen Jahren der Therapie und unterschiedlicher Verfahren, de mir alle dabei helfen wollten, dass doch endlich alles weggeht, fand ich zu neuen Lehrern, die mich wahrhaftig in die tiefen alten Wunden eintauchen ließen, die Narben erneut öffneten, damit sie wirklich gesäubert und gereinigt werden konnten. Erst dann, verschlossen sie sich sicher und ließen neue, kraftvollere Haut entstehen.
II. So wie du bist, bist du genau richtig
Melancholie oder Depression wird häufig schnell als etwas Negatives bewertet. Etwas, was wie im ersten Punkt weggemacht werden solle. Natürlich, ist das Leben da draussen mit all seinen Möglichkeiten und Besonderheiten lebenswert und sollte Spaß bereiten, aber muss das um jeden Preis?
Nach meiner Erfahrung ist es ein kollektiver Irrglaube, permanent glücklich, leistungsfähig und funktionsfähig zu sein. Jede Batterie muss irgendwann wieder aufgeladen werden und braucht ihre Zeit dafür. Melancholische Gemütszustände bleiben häufig dann über viele Jahre, wenn innerlich permanente Glaubenssätze darüber ablaufen, dass es so, wie es ist, nicht richtig sei. So wie ich bin, bin ich nicht gut genug. Depressiv sein ist schlecht. Traurig sein bringt nichts.
Es gibt unendliche innere Überzeugunen die meistens vom lieblosen Erwachsenen kommen und nur eines wollen: Deine wahre Lebenskraft zurückhalten, dich klein halten, dich manipulieren und dir dazu verhelfen, dass du nicht in dein wahres, vertrautes und strahlendes Selbst findest.
III. In der Melancholie verbirgt sich Liebe, Tatkraft und Weisheit
Wenn die Gefühle im hier und Jetzt voll sein dürfen und ein Mensch sich dafür entscheidet, all das, was jetzt gesehen werden möchte, zu sehen, dann vermag diese innere Haltung unglaubliche Liebe, Kraft und Weisheit freizusetzen.
Dann ist die Melancholie oder die Depression wie ein Tor zu deiner Seele, welches darauf wartet, mit dem richtigen Schlüssel, Zauberspruch, Überlistung der Wärter oder sonst was geöffnet zu werden. Im Laufe des Lebens hat sich ein Mensch möglicherweise hunderte Schichten antrainiert und Masken aufgesetzt um eben nicht in Kontakt mit sich im Hier und jetzt zu treten: Zu schmerzhaft, zu konfrontierend, was würden die anderen sagen,… Klar, dass der Organismus irgendwann keinen Bock mehr hat auf das ganze Spiel, die ganze Anstrengung und diese permanent vergeudete Lebensenergie, die nur dahin fließt, NICHT du selbst zu sein. Klar, dass der Körper irgendwann streikt.
Wenn die Melancholie jetzt da sein darf und so lange gelebt wird wie notwendig, von ganz allein, die sich dahinter verbergende Liebe freigesetzt wird. Wenn die schweren Gefühle und Dämonen ihren Platz bekommen und betrachtet werden , sie schnell ihre Dunkelheit verlieren und sich in Mitstreiter, Begleiter und Helfer transformieren können, die neue Tatkraft in dir freisetzen.
Was kannst du jetzt konkret tun, wenn du dich in einer melancholischen Phase befindest?
Alles ist genau richtig! Du brauchst nichts zu tun.
Frage dich: was fühle ich JETZT in meinem Körper? Was nehme ich wahr? Was spüre ich? (Schreibe alles auf oder zeichne das, was du wahrnimmst, sprich darüber mit dir oder jemandem, der den Raum dafür halten kann)
Danach fragst du dich: Was ist mein Verlangen? Was will ich im Leben? Was will ich von mir und anderen?
Welcher Schmerz verbirgt sich hinter meinem Verlangen, den ich immer noch oder immer wieder verdränge?
Wenn ich den Schmerz fühle, mir Zeit für ihn nehme (zum Beispiel durch zeichnen oder schreiben eines Tagebuches), welche Kraft will dann sanft aus der Dunkelheit in mir aufsteigen?
Was kann ich tun, um die neue Kraft in Fluß zu bringen, sie weiterzugeben und mit ihr etwas umzusetzen, sodass mein Verlangen mehr gelebt werden kann.
Viel Freude mit deiner Melancholie!